26.04.2015

Von Georg Weindl

Lukas liebt seine Arbeit und das sieht man und hört man. Der großgewachsene Endzwanziger mit den etwas längeren blonden Haaren versprüht gute Laune. Die Worte sprudeln mit rasantem Tempo aus seinem Mund. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht erzählt er davon, dass ihm seine Arbeit viel Spaß macht, dass er jeden Morgen das Café aufsperrt, die Espressomaschine bedient und auch den Service macht. "Ich mag es gerne, mit Leuten zu tun zu haben, und ich bin sehr glücklich, dass ich hier bin und das kann", sagt er und bekommt dabei einen dezenten ernsten Unterton. Dass er das kann, ist nicht selbstverständlich. Lukas erlitt vor vierzehn Jahren einen schweren Verkehrsunfall, war längere Zeit querschnittgelähmt und hat sich mit vielen Operationen und Rehabilitationen zu dem vorgearbeitet, wozu er heute fähig ist.

Das Kaffeehaus, um das sich Lukas jeden Morgen kümmert, gehört zum Hotel Masatsch, das mitten in einem kleinen Weiler in den Weingärten oberhalb von Kaltern steht. Hotels in dieser Lage sind eher klassisch rustikal oder in ehemaligen Ansitzen mit dicken Mauern und hohen Türmen eingerichtet. Aber das Masatsch ist anders. Die Fassade mit den weit heruntergezogenen Dächern wirkt noch konventionell südtirolerisch, ansonsten geht das Dreisternehaus ganz andere Wege. Das Masatsch ist ein Inklusionsbetrieb. Hier sind Menschen mit Beeinträchtigungen in allen Bereichen eingebunden und arbeiten in der Küche genauso wie in der Verwaltung. Dafür absolvieren sie Praktika und werden entsprechend ausgebildet.

Vor fünf Jahren wurde die ehemalige Fachschule für Hauswirtschaftsberufe für Mädchen von der Lebenshilfe Südtirol mit finanzieller Unterstützung des Landes zu einem Hotel umgebaut. Die Lebenshilfe ist ein Verein, der Menschen mit Behinderung unterstützt, um ihnen ein selbständiges Leben möglich zu machen. Von den sechsundzwanzig Mitarbeitern im Hotel sind zehn mit Beeinträchtigung, Menschen wie Lukas oder Sandra, die oben im Restaurant eine Serviceausbildung macht und mit so fröhlicher Laune die Gäste bedient, dass ihre Lernschwäche völlig nebensächlich wird.

Die Nachfrage nach Praktikumsplätzen ist groß", sagt Hoteldirektor Christian Etl, "aber wir können nur Leute nehmen, die auch selbständig zur Arbeit kommen, da im Hotel keiner wohnen kann." Deshalb fährt auch Lukas jeden Morgen rund dreißig Kilometer von seinem Wohnort nach Oberplanitzing, was ihn aber offensichtlich nicht sehr stört. Wer hier zu arbeiten beginnt, wird bewusst langsam an die neuen Aufgaben herangeführt, erzählt Kurt Klotz, der pädagogische Leiter im Hotel Masatsch. Die Auszubildenden werden zuerst in den internen Bereichen wie der Wäscherei, der Küche oder dem Zimmerservice eingesetzt. Bei entsprechender Bewährung arbeiten sie dann später auch mit Gästekontakt im Restaurant oder im Café und können in eine Festanstellung übernommen werden.

Beim Umbau wurde natürlich darauf geachtet, dass das Haus möglichst behindertengerecht ist, was zur Folge hat, dass auch viele Gäste mit Beeinträchtigung ins Masatsch kommen. Sie machen immerhin zwei Drittel aller Besucher aus. Speziell für Familien mit behinderten Kindern werden hier zum Beispiel Entlastungswochenenden angeboten. Die Zugänge zu den Zimmern und zum Restaurant sind barrierefrei. Es gibt unter den vierundzwanzig Gästezimmern auch zwei Zimmer mit Pflegebetten, einen großen Fahrstuhl für elektrische Rollstühle, eine Bibliothek, ein Farbleitsystem, ein Hallenbad mit Lift und erhöhter Wassertemperatur, was für Menschen mit Beeinträchtigung wegen der ansonsten drohenden Auskühlung wichtig ist. Bei einigen Details musste in der Praxis nachgebessert werden. "Die höhenverstellbaren Waschbecken waren zu schwer und die Bänke in den Umkleidekabinen zu schmal, dafür haben sich zum Beispiel die höhenverstellbaren Toiletten bewährt", erzählt Christian Etl.

Reichlich Platz gibt es auch im Außenbereich. Im Innenhof hat das Hotel eine Arena mit zweihundert Sitzplätzen für Musikveranstaltungen und einen Kinderspielplatz. Neben dem Hallenbad wird derzeit ausgebaut. Ein Wellnessbereich und mehrere Zimmer sollen das Angebot verbessern.

Aber auch außerhalb des Hotels gibt es ein bemerkenswertes Angebot für Menschen mit Beeinträchtigung. Zusammen mit dem Tourismusverein Kaltern wurde die Initiative "5 Sensi", fünf Sinne, ins Leben gerufen. Diese Marke steht für fünfzehn barrierefreie Wanderwege rund um das Weindorf Kaltern, etwa durch ein Biotop am Kalterer See, einen Ausflug der historischen Mendelbahn oder, was besonders nahe liegt, eine Route zwischen dem aussichtsreich gelegenen Oberplanitzing und Kaltern.

Das Masatsch hat im Süden Südtirols nicht nur wegen des Inklusionsmodells eine Sonderstellung. Hier zwischen den Weingärten rund um den Kalterer See floriert das Geschäft mit den Touristen vom Frühjahr bis zum Herbst. Es wird eher gemütlich gewandert, eingekehrt, und man lässt sich in den typischen Weinkellern Einheimisches auftischen. Wer hierherkommt, sucht das milde Klima und die Produkte der hiesigen Winzer, von denen es einige renommierte und hochdekorierte gibt. Im Winter sind die meisten Gastbetriebe geschlossen, denn es gibt keine Skipisten oder ähnliche wintersportliche Attraktionen. Das Masatsch ist einer der wenigen Ganzjahresbetriebe. "Das ist ein Zugeständnis an unser Inklusionsmodell", erklärt Hoteldirektor Etl. Nur mit dem Ganzjahresbetrieb machen die Praktikums- und Ausbildungsangebote wirklich Sinn. Für Etl eine Herausforderung, denn das Haus soll ja auch rentabel sein. Und dazu braucht man eine gute Auslastung.

Das Hotel lebt deshalb nicht nur von und für Menschen mit Beeinträchtigungen. Es gibt offensichtlich auch viele andere Gäste, die das Besondere dieses Hauses schätzen - zum Beispiel zahlreiche Firmen, die die Seminarräume mieten und die besondere Ruhe des Hotels suchen. Oder der deutsche Schauspieler, der schon mehrfach da war und im Gästebuch viel Lob hinterlassen hat. Das Masatsch nennt sich selbst ein besonderes Hotel, und das ist es auch in mehrerer Hinsicht. Aus der Sicht des Hoteldirektors heißt das auch, dass er mit der Integration auf der einen und den wirtschaftlichen Anforderungen auf der anderen Seite ganz besondere Ansprüche zu erfüllen hat. Besonders ist auch die Atmosphäre im Haus. Was dem Masatsch so ganz fehlt, das sind die in Hotels sonst üblichen Eitelkeiten. Standesdünkel oder Protzgehabe sind hier völlig fremd. Wer das Hotel betritt, spürt schnell eine tiefe Ruhe und Entspanntheit.

Hier gibt es keine Menschen, die gehetzt irgendwelchen Terminen nacheilen oder hektisch ins Mobiltelefon sprechen. Eine fast platonische Ruhe, die schnell ansteckend wirkt. Nach ein paar Stunden empfindet man einen geradezu therapeutischen Effekt, wie er sonst in teuren Wellnessherbergen versprochen wird. Entschleunigung bekommt man im Masatsch gratis geliefert. Man muss sich nur dem speziellen Charakter dieses Hauses öffnen.

Der Umgang mit den Menschen mit Beeinträchtigung, für viele Menschen ein Quell nachhaltiger Verunsicherung, braucht hier kein Thema zu sein. "Einfach ganz normal reden und bitte kein überzogenes Mitleid", empfiehlt Wolfram, der seinen Rollstuhl an der Rezeption plaziert hat und dort am Computer arbeitet, was ihm auch viel Kontakt mit Gästen beschert. Ganz normal miteinander reden ist die Art, die die Menschen hier zueinanderführt. Im Masatsch funktioniert nicht alles perfekt. Das kann nicht sein, weil die Mitarbeiter oft Dinge falsch einschätzen oder vergessen haben, weil sie im Moment vielleicht gerade unsicher sind, was allen anderen Menschen auch geschieht. Aber die Ruhe und Gelassenheit neutralisiert nicht nur diese kleinen Mängel, sie macht sie auch menschlich und sympathisch.

Im Masatsch lernt man nicht nur viel über Menschen mit Beeinträchtigung, man erfährt auch viel über das Leben und darüber, dass man ohne Statussymbole und Eitelkeiten sehr entspannt leben kann. Und gerade das macht es zu einem besonderen Hotel.

Informationen: Das Hotel Masatsch liegt in 39052 Kaltern an der Weinstraße, Oberplanitzing 30. Telefon: 0039/0471/669522, E-Mail: info [at] masatsch.it, im Internet unter www.masatsch.it.

Bildunterschrift: Ohne Barrieren und Berührungsängste: das Hotel Masatsch bei Kaltern Foto Georg Weindl